VTV verfassungswidrig?

VTV verfassungswidrig?

 

Zum kommenden Jahreswechsel wird die ULAK wieder besondere Geschenke versenden. Viele Unternehmen bekommen Mahnbescheide der Arbeitsgerichte Berlin oder Wiesbaden zugestellt. Viele Unternehmen werden sich wundern, halten sie sich doch nicht für einen Baubetrieb. Es werden Mischbetriebe darunter sein, die Maler beschäftigen, Installateure oder andere Mitarbeiter des so genannten Ausbaugewerbes. Für sie alle gilt doch der Ausnahmekatalog des Verfahrenstarifvertrages über das Sozialkassenverfahren des Baugewerbes (VTV), oder?

 

Grundsätzlich sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts alle Tätigkeiten, die der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, Bauleistungen.

 

Dieser sehr weiten Auslegung steht eine sehr enge Handhabung des Ausnahmekatalogs entgegen. Aus Sicht des Bundesarbeitsgericht setzt die Anwendung des Ausnahmekatalogs voraus, dass arbeitszeitlich zu mehr als der Hälfte der Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten ausgeübt werden, die einem der Tatbestände des Ausnahmekatalogs zuzuordnen sind. Verschiedene Ausnahmetatbestände sind nach Ansicht des BAG dabei aber nicht zusammenzurechnen! Beschäftigt ein Arbeitgeber neben vier Malern drei Maurer muss er keine Beiträge zur Sozialkasse entrichten. Stellt er aber noch zwei Elektriker ein unterhält er plötzlich einen Baubetrieb!

 

Das Zusammenspiel des weiten Baubegriffs mit den eng verstandenen Ausnahmetatbeständen führt in vielen Fällen dazu, dass nicht baugewerbliche Handwerker zu einem großen Teil vom VTV miteingeschlossen werden. Da nach Ansicht des BAG verschiedenen Ausnahmetatbeständen zuzuordnende Tätigkeiten nicht zusammenzurechnen sind, sondern getrennt behandelt werden müssen, ist dies auch dann der Fall, wenn zwar der ganz überwiegende Teil der Arbeitszeit Tatbeständen des Ausnahmekatalogs zuzuordnen ist, dabei aber nicht mehr als die Hälfte der Gesamtarbeitszeit auf einen der einzelnen Ausnahmetatbestände entfällt.

 

Durch die dargestellte Auslegung des VTV werden erheblich unterschiedliche Sachverhalte gleichbehandelt, ohne dass dies sachlich gerechtfertigt ist. Das fehlerhaft enge Verständnis der Ausnahmeregelung führt dazu, dass der betriebliche Anwendungsbereich der tarifvertraglichen Regelungen auf Bereiche erstreckt wird, in denen die nötige Rechtfertigung gegenüber Tarifaußenseitern nicht gegeben ist. Die damit verbundenen Eingriffe in die Freiheitsgrundrechte der Tarifaußenseiter sind verfassungswidrig. (so auch Prof. Bern Grzeszick NZA 2021, 757ff).

 

Um eine verfassungskonforme Anwendung des VTV auf Außenseiter zu gewährleisten wird es darauf ankommen, die Gerichte zu überzeugen, dass die auf verschiedene Ausnahmetatbestände entfallenden Arbeitszeiten zumindest in den beschriebenen Konstellationen zusammengerechnet werden.

 

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